Interna: Religionsempfehlung für gläubige Veganer

(Interna bezeichnet Artikel die sich nicht, oder nicht direkt mit dem Antiveganismus auseinander setzen.)

Das Phänomen der Religion hat wie alle kulturelle Ausprägungen, reduktionistisch betrachtet seinen Ursprung in Prozessen der Selbstorganisation, ist demnach evolutionsmathematisch erklärbar.

Religiöse wird es sicherlich nicht entzücken, dass Religion somit ein Element der (sozialen) Evolution ist, aber ein Phänomen was sich über Milliarden von Menschen erstreckt, kann nicht außerhalb der Evolution stehen.

Die mehr als absolute Mehrheit der Menschen glaubt an eine ihr aktiv zugewandten, selbstbewussten Energieform. Und sogar Menschen, die sich selbst als Nichtgläubige definieren, zeigen oftmals identische Verhaltensweisen; und sei es nur zum Beispiel bedingungsloser Gehorsam gegenüber einer (oftmals destruktiven) Autorität in Form eines Individuums oder einer Organisation. Der so genannte Milgram-Effekt, die Übertragung individueller Verantwortung zugunsten einer übergeordneten echten oder fiktiven Autorität, ist einer der stärksten im Menschen angelegten Urtriebe, unabhängig davon ob das gute (Martin Luther King) oder negative („Modernität braucht den Otto-Motor“) Folgen hat.

Aufklärung und Religionskritik ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Moderne, dies steht unbenommen. Dieser Text ist weder Religionsapologetik noch Kritik am Antitheismus. Hier geht es um das tiefe Bedürfnis von gläubigen Menschen an einer Religion teilzunehmen, ihre Identität über eine soziale DNA zu entwickeln und zu definieren.

Der Veganismus kann dies nicht leisten. Entgegen der in diskreditierender Absicht oft verbreiteten Behauptungen ist der Veganismus keine Religion. Das belegt in der Praxis alleine schon der Umstand, dass Veganerinnen und Veganer in allen Religionen, Kulten und esoterischen Strömungen präsent sind. Wie Rothaarige. Der Veganismus ist auch keine politische Ideologie, obgleich Politik als Instrument dienen kann, über den Veganismus aufzuklären. Der Veganismus ist eine Erkenntnis, so banal wie die Erkenntnis dass man anderen nicht direkt ins Gesicht nießt. So wie es überall in allen gesellschaftlichen Strömungen, Gruppen, Organisationen, Parteien, Religionen Menschen gibt, die anderen nicht ins Gesicht nießen, so verteilt sich -in geringerem Ausmaß- die Erkenntnis dass man Tiere nicht benutzt. Für nichts.

Dennoch gibt es auch eine Hyperidentität von Veganern, die den Veganismus an sich als ihre kulturelle Identität akzeptiert haben, hervorgegangen aus dem üblichen Sammelsurium neuer, gesellschaftlicher Strömungen: den Kreativen, den Spinnern, den Küchenphilosophen, den Autisten, den Borderlinern, den Außenseitern und Abgestürzten, den Hochbegabten, den Skeptikern etc. pp. Wie die „Hyperidentität“ Gebärdensprache der Tauben, so ist auch der Veganismus eine Zusatzkultur als Anbau darunter liegender Zugehörigkeiten. Ein Hauptmerkmal, ein Trend derer, die Veganismus als kulturelle Prämisse für sich akzeptiert haben ist gerade die Nichtgläubigkeit, der Atheismus, sympathisierend oft auch mit einer anderen, ethischen „Schwester“-Orthodoxie, dem Anarchismus. Das ist in etwa ein grober, sozialer Umriss des zeitgenössischen Veganismus moderner Ausprägung. Bei Pythagoras mag das noch anders ausgesehen haben.

Innerhalb dieser veganen „Gemeinschaft“ stehen G-ttgläubige relativ einsam da mit ihrem Glauben und Gefühlen, nicht selten harschen Anfeindungen ausgesetzt, was sie doppelt einsam macht, denn die meisten haben sich von den großen Religionen abgewendet und machen ihr Ding im Stillen mit sich selbst aus. Ihr Bedürfnis nach Gemeinschaft mit Gleichgesinnten lassen sie verkümmern.

Für eben diese Veganer, die mit ihrer abgeschnittenen Religiösität unglücklich sind, ist dieser Text, und dieser Text ist ein Plädoyer für das Judentum.

cc-by-2.0-deed-en:uhuru1701

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Es mag ungwöhnlich sein, dass gerade eine Atheistin mit einer physikalisch sehr reduktionistischen Weltsicht, der Informationstheorie einen proreligiösen Text verfasst; allerdings sehe ich keinen Grund, warum die Erkenntnis, dass es nicht schicklich ist „anderen ins Gesicht zu nießen“ vor Religionen halt machen sollte.

Warum gerade das Judentum? Zuerst sind da theologische Erwägungen. Für eine Veganerin oder einen Veganer der im westlichen Kulturkreis sozialisiert wurde ist das Christentum, bei Migranten häufig auch der Islam die Grundlage sehr vieler Elemente der Persönlichkeitsbildung.

Bei beiden Religionen klafft allerdings ein immenser Riß in der theologischen Matrix, denn die finale Messiasbehauptung erhebt den Anspruch auf Unfehlbarkeit, ja, die beiden Religionsstifter stehen im Zentrum und die gesamte Theologie ist um sie herumgewoben. Dass es sich bei Mohammed und Jesus religionswissenschaftlich wahrscheinlich um die gleiche Person gehandelt hat, ist hier nicht weiter relevant.

Wichtig ist das ethische Versagen von J&M, und somit die Hinfälligkeit der Schismen, die Grundlage waren für die Bildung der beiden Weltreligionen. Denn „beide“ lebten nach der Zeit Pythagoras‘, also in der Zeit in der eine vegane Ethik schon definiert war. Bis zur Entdeckung der Fermentierbarkeit von Vitamin B12 wäre zumindest der Vegetarismus ethisch bindend gewesen, das gänzliche Fehlen der Ausdehnung religiöser Moral auf Tiere, zumindest was das Recht auf Unversehrtheit betrifft, ist ein großer, sehr großer Stolperstein für einen Messias. Und auch gänzlich ohne philosophischen Anschub eines herumrechnenden Griechen, hätte ein Messias von selbst drauf kommen müssen, dass Tiere ethische Rechte haben.

Der aufmerksame Leser wird jetzt einwerfen, dass sich die Erkenntnis über die Rechte der Tiere auch bei den Juden nicht durchgesetzt hat, schließlich leben die wenigsten Juden vegan, dennoch haben die Juden den theologischen Vorteil, sich nicht in einer messianischen Finalbehauptung verrannt zu haben, obwohl es sicher Kandidaten hatte mit denen man das hätte tun können, Maimonides z. B.

Von diesen schweren, theologischen Erwägungen einmal abgesehen hätte das Jüdischsein für g-ttgläubige Veganer sicher auch ein paar praktische Vorteile. Man denke einmal an die Möglichkeit einer veganen, jüdischen Mutter, ihr Kind in einen jüdischen Kindergarten zu schicken, also in eine Umgebung wo vegane Ernährungsgewohnheiten auf ein akzeptierendes, statt feindliches Umfeld stoßen würde. Man denke an die Bereicherung, zu einem neuen Volk dazugehören zu dürfen und viele neue Erfahrungen und Freunde dazugewinnen zu können. Als veganer Jude bräuchte man (Korrektur erwünscht) nur ein Set Bestecke und Geschirr, da eine vegane Küche mehr ? als parve ist, also nicht mit Fischfleisch in Berührung kommt. Auch die Möglichkeit (je nach Art der Konversion) in Israel leben zu dürfen ist ein weiterer „Gewinn“, wobei an allererster Stelle keine betriebswirtschaftliche Kosten/Nutzenrechnung stehen sollte, sondern die Frage, ob man das jüdische Volk lieben kann.

Im Judentum selbst wird nicht missioniert, und Konvertiten werden gar mit Skepsis bedacht, der Prozess der Konversion ist intensiv, soll an dieser Stelle aber nicht erörtert werden, dies bespricht der gläubige und Judentum-interessierte Veganer mit der Rebbezin oder dem Rabbi ihres oder seines Vertrauens.

Übrigens ist heute TU biSchwat, das neue Jahr der Bäume. hagalil.com findet, dass dies der jüdische Feiertag ist, der die meisten Verbindungen zu Konzepten und Themen des Vegetarismus aufweist.

Veganes Auge findet, dass die Übereinstimmung mit dem Veganismus noch deutlicher ist. Na denn;-)

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Ava Odoemena

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153 Antworten to “Interna: Religionsempfehlung für gläubige Veganer”

  1. mimenda Says:

    Mir gefällt am jüdischen Glauben vor allem das Bilderverbot, weil es eine Schranke bildet gegen Spekulation und Spintisiererei. Der Herrgott des Christentums wurde schließlich auch deshalb zum Gott der Herren, weil die christliche Religion der Bemächtigung seines Bildes zu Herrschaftszwecken nichts entgegenzusetzen hatte. Wenn Münzer davon redet, man solle „das Loch weit […] machen, auf daß alle Welt sehen und greifen möge, wer unsre großen Hansen sind, die Gott also lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben“, dann ist genau das gemeint.

    Auf der einen Seite ist Religion in diesem Sinne Instrument der Herrschaft, auf der anderen (auf Münzers etwa) ist sie hingegen Instrument der Freiheit. Dass bei den meisten Menschen beides in einem Hirn und Herzen vereint ist, scheint mir evident. Herrschaft und Freiheit sind gleichsam gordisch im konstruierten Ich verknotet und harren weniger des befreienden Schlags, als sie auf dem status quo beharren. Dies ist Ausdruck unserer Erziehung zur Hartherzigkeit, ist geronnene Angst, die sich von Generation zu Generation mit unverminderter Macht tradiert. Dies gilt für religiöse Menschen ebenso wie für nichtreligiöse.

    Veganes Leben stellt nur einen Aspekt der Freiheit dar, eine Konsequenz aus folgerichtigem Denken (und Fühlen). Aus einem Aspekt lässt sich aber nur dann eine Religion machen, wenn sie der Herrschaft dienen soll. Freiheit zwingt indes nicht zum Nachbeten von Formeln und zum Nachtun kultischer Handlungen, sondern sie lauscht den Dingen ihr Wesen ab und behandelt sie mit der Ehrfurcht und Würde, die sie aus sich selbst heraus verlangen.

    Freiheit instrumentalisiert nicht, sie konzertiert und ist insofern auch keine individuelle Errungenschaft, wie sie der Hedonismus postuliert, sondern für den Gläubigen ist sie Gottes Wille und für den Nichtgläubigen Einsicht in die Notwendigkeit.

    Für beide Seiten ist indes Voraussetzung, dass die Antennen auf den Weltsender eingestellt sind, oder – christlich gesprochen – dass wir guten Willens sind oder seiner Entwicklung in uns zumindest eine Chance geben.

  2. histibog Says:

    Vielleicht kann man den Kirchen direkt dankbar sein dafür dass sie uns aus sich hinaustreiben. Vielleicht wäre es der Suche nach Gott viel abträglicher sich von vermeintlichen Sicherheiten einlullen zu lassen. Und warum gerade das Judentum jetzt für jemand veganes in Frage kommen könnte, ist mir schleierhaft. Ich denke da an Schlachtorgien im AT oder koscheres Schächten.

    • Ava Odoémena Says:

      Die Frage ist nicht, ob das Judentum für Veganer in Frage kommt, sondern welche Religion für *gottesgläubige* Veganer am ehesten Sinn macht. Warum das Judentum für gottesgläubige Veganer Sinn macht, dafür habe ich praktische wie auch theologische Argumente geliefert. Deine Frage nach dem Warum ist also überflüssig, weil sie schon im Artikel beantwortet wurde.

      Darüber hinaus hat der Artikel noch mehrere Funktionen gleichzeitig die ich nicht weiter ausführen möchte.

  3. Schmorbraten Says:

    ??? „Dass es sich bei Mohammed und Jesus religionswissenschaftlich wahrscheinlich um die gleiche Person gehandelt hat, ist hier nicht weiter relevant.“ Schade, war bis dahin interessant, aber da habe ich aufgehört zu lesen.

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