Paleo-Diät: Placebo für Gegenwartsflucht

Als ich zuerst von der Paleo-Diät gehört habe, dachte ich, oh Raumzeit, das ist für Midlife-Krise gebeutelte Mann-zu-Mann-Transsexuelle, also Männer die Testosteron spritzen um männlicher zu werden, sich ne Harley kaufen und nach dem Job als Buchverkäufer in der Sachbuchabteilung in Lederkleidung beim Rockerclub ein paar Bierchen zischen. Bald, so fürchtete ich, würde man auch Loblieder von postmuslimischen Hodenrappern auf Youtube zu Ehren des Fleischverzehrs in Steinzeitmanier zu hören bekommen. Ich ficke deine Mutter du Hurensohn und brate mir ein Steinzeitschnitzel:-) Oder so. Mal so wieder richtig Mann sein, wie die Vorbilder aus der Zeit ohne Parkuhr. Bitte!

cc:by-nc-sa/2.0/deed.en: NeuroWhoa
Vorbild Steinzeit
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Aber es gibt offensichtlich (mittlerweile)  auch genug bekloppte Frauen, denn nachdem die Atkins-Diät (explizite Aufnahme von Tierischem) nach zeitigem Ableben des Gurus in der Bedeutungslosigkeit verschwand, fanden die Drohnen alsbald eine neue friss-soviel-Fleisch-wie-du-willst-Diät, die Paleo-Diät. Wenig überraschend scheint es so, als ob der Trend auch unter bisher als vegan firmierenden Rohköstlern Fuß fassen würde.

Zentral in dieser Sehnsuchtsdiät weg vom komplexen Alltag der Gegenwart steht folgender Irrtum:

Man könne aus der Evolution ein Gesundheitsparadigma oder Verhaltensauftrag (re)konstruieren, also dass wir uns, basierend auf unserer Evolution speziell verhalten müssten, um dann in den Genuss eines langen, gesunden Lebens zu kommen.

Hier wird Evolution also als göttliche Architektur verbrämt, bei der man sich dem Idealstandard unterwerfen muss, um dafür dann belohnt zu werden. In vielen postmodernen Pseudoreligionen hat man dieses Verhältnis von Anspannung und Belohnung. Eine Form der Masturbation unter Schmerzen also. Arbeit – Konsum, Streitsucht – Versöhnung, Hypochondrie – Arztbesuch, Bakterienhände – Waschzwang. Der Paläondiätologe hat aber einen doppelten Boden eingebaut, seine Unterwerfung besteht aus dem Verzicht auf Restriktion! Friss was du willst, vor allem: Fleisch. Wäre es nicht so selbst entlarvend in der Suche nach Rechtfertigung für etwas, was sich in der Gesellschaft als Tabu entwickelt, könnte das ein Kind von Udo Pollmers besonderer Auslegung von „Instinkto“ sein, eine Art Udo Pollmer Urdiät. Das klingt aber lange nicht so romantisch wie der Geruch aus einer Zeit, als „Damen“ noch gehorchten und nie Migräne hatten, und wo man Fehden mit Mord aus dem Weg räumte und Boss noch kein Parfum war. Hach, früher war eben alles besser.

Es gibt nur ein Problem: Die Evolution kümmert sich einen dicken Elefantenhaufen voller dampfender Scheiße um unser Verhalten. Das einzige „Ziel“ der Evolution ist, dass wir so viele Nachkommen wie möglich zeugen, um alsbald, nachdem den Nachkommen bis zur Geschlechtsreife verholfen wurde, abkratzen. Das ist Evolution.

Ein fetter, kettenrauchender Heroinjunkie, der sich mit 35 die Pulsadern aufschneidet, aber vier Kinder gezeugt hat, ist evolutionär erfolgreicher als ein Veganer und ein Paleo-Steinzeitler mit je einem Kind.

Wer nach der Logik der Paleo-Diät argumentiert, müsste rein wissenschaftlich ergo anerkennen, dass ein geiler aber depressiver Junkie ein Idealstandard ist, da er die „Aufgabe“ der Evolution erfüllt hat und mehr Kinder produziert als die Mittelschichtsschwäbin, die ihre einzige Tochter zum Oboe-Unterricht schickt und zum Grashockey.

Genauso lächerlich machen sich übrigens Veganer, die rumlaufen und behaupten vegane oder gar Rohkost-Ernährung sei evolutionär richtiger.

Beide Gruppen übersehen das eigentlich zentrale Merkmal unserer Evolution welches sich auch auf die Ernährung bezieht, nämlich unsere geistige Entwicklung und daher unsere Fähigkeit, ethische Entscheidungen fällen zu können. Richtig von Falsch unterscheiden und danach das Verhalten zu modifizieren.

Wenn Diätideologen von Menschen erfahren, die diese Fähigkeit mit großer Konsequenz nutzen, kollidiert das natürlich mit dem, was sie glauben Veganer sind. Für die Friss-was-du-willst-und-wenn-es-deine-Tante-ist-Fraktion sind Veganer das Feinbild par excellence, besonders Fromme, die Inquisitoren der Diätszene, während sie sich selbst in der Rolle der Revoluzzer sehen, für manche reicht eben auch ein Tabubruch um den Underdog rauskramen zu können. Daneben fällt auf, neben der üblichen Demagogie, dass sie Veganismus (auch) für eine Diät-Ideolgie halten. Dabei hat Veganismus gar nichts mit Ernährung zu tun. Das ist etwa so, als ob eine Fußballmannschaft glaubt, die Tribüne sei das Tor und die Zuschauer seien die Gegner. Am verwandtesten und in der gleichen Liga spielend sind höchstens Diät-Vegetarier, also Leute die sich aus Gesundheitsgründen vegan oder unvegan vegetarisch ernähren. Ob ein Mensch vegan lebt, und nicht einer Ernährungsideologie folgt, merkt man daran dass auch andere tiernutzungsbelastete Produkte vermieden werden, wie Leder, Wolle, Seide, etc. pp.

Ein weiterer, fataler Irrtum, und ein peinliches Fehlverständnis für aus der Evolution resultierender, biologischer Prozesse, ist der Glaube, Menschen benötigten bestimmte Nahrungsmittel, also Batzen. Menschen brauchen aber lediglich Nährstoffe, und die Batzen (egal aus welchen Rohstoffen diese hergestellt wurden) sind nur das Transportmittel für diese Fette, Aminosäuren und Kohlehydrate, Mineralien und Vitamine usw. Dem Darm ist es vollkommen schnuppe, ob die Aminosäure Lysin aus der Leiche oder der Hefe kommt. Der heterotrophe Organismus Mensch benötigt Nährstoffe, und sobald diese adäquat vorhanden sind, kann man diese Ernährung als gesund bezeichnen, egal in welchen Nahrungsmitteln die in den Körper geschleust werden. Für den Menschen. Denn wirklich gesund ist eine Ernährung natürlich nur dann, wenn die Gesundheit aller Beteiligten in Betracht gezogen wird. Und ich vermute, viel von der negativen Reaktion auf Veganer rührt aus dem Umstand, dass Veganer nebenbei die Unsichtbaren sichtbar machen, die verdrängt werden. Wir erinnern also, ganz ohne unser zutun die Nichtveganer an ihre Leichen im Keller.

So auch den Paleofoodblogger Robert Bock, der in einem furchtbar peinlichen, zum fremdschämen schlechten Eintrag von Götterdämmerung schwadroniert, weil zwei Autorinnen nicht mehr vegan essen. Ikonen sollen es sein, von denen ich allerdings noch nie gehört habe. Es ist schon eine Zeit her, dass ich so eine billige und schlechte Demagogie über mich ergehen ließ, in der der Protagonist die „Bekennenden“ in den Olymp seiner Phantasie hebt, als gefallene Göttinnen, die zu den Menschen, dem wahren Leben zurückkehren, reumütig und unterwerfend. Für solche Damen hat er größten Respekt. Alle die nicht seiner Meinung sind, sind wahrscheinlich so wie ich. Ich wette er denkt, dieser Artikel sei über ihn. Wer so im Hypnosestil schreibt (tu es einfach!), ist vermutlich auch ziemlich eitel. Aber das Geseier ist selbstentlarvend, voller Projektionen und kaum der Rede wert. Wir lernen daraus höchstens: Die Paleo-Diät braucht Veganer die sie abwerten kann, um als Struktur zu existieren. Und eben dieser Steinzeit-Unfug ist mir jetzt aber schon ein paar mal zu oft über den Weg gelaufen, mich nerven diese Dummentrends. Als Veganerin und auch als Ernährungsinteressierte. Von daher, für die Akte…

Wirklich spannend im Vergleich zwischen Paleo-Diät und veganer Ernährung ist sowieso nur ein Aspekt: Die Steinzeitler zeigen in die Steinzeit, und wir Veganer zeigen in die Zukunft.

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Paleo-Diät: Placebo für Gegenwartsflucht von Ava Odoemena steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

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49 Antworten to “Paleo-Diät: Placebo für Gegenwartsflucht”

  1. Ägidius Says:

    Schade, dass immer so übertrieben wird. Und damit meine ich nicht die Grundaussagen des interessanten Vortrags, sondern das Motto, unter dem er steht: Debunking.
    Tatsächlich stellt Christina Warriner lediglich klar, dass es nicht „die“ Paläo-Ernährung geben kann, weil wir zum einen – noch – relativ wenig wissen, zum anderen weil die Lebensumstände und Ökosysteme unter denen unsere Vorfahren lebten, extrem unterschiedlich waren. Was aber nicht bedeute, die Erkenntnisse von Paläontologie, Antrhopologie und Evolutionsbiologie in den Wind zu schreiben. Zu Recht zieht sie in ihrem Schlusssatz das Fazit: „We have a lot to learn from our paleolithic and neolithic ancestors“.
    „Debunken“ lassen sich damit eigentlich nur die aus Marketinggründen verbreiteten Karikaturen der Paläo-Ernährung.

    • Ava Odoémena Says:

      Für Veganer ist diese Diät nur in sofern interessant, indem sie sich als Konkurrenz zur veganen Ernährung geriert. Die kann sie nämlich nicht sein, schließlich hat Veganismus nichts mit Ernährung zu tun.

  2. Peter Says:

    Paleo ist keine Diät, sondern eine Ernährungsform. So wie auch Veganismus eine legitime Ernährungsform ist.

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